Barrierefreiheit ist kein Produkt

Eine Website macht man nicht barrierefrei, freut sich und geht dann zum nächsten Projekt.
Sie wird auch nicht barrierefrei, indem man sich ein Zertifikat für den Test von wenigen ausgewählten Seiten kauft.

Die Aufrechterhaltung oder zumindest die Annäherung an eine möglichst gute Barrierefreiheit ist nur möglich, indem man eine Website als die Spitze eines Eisberges versteht, welches aus dem Wasser ragt.

Unter der Oberfläche befinden sich viele Dutzend Fremdkompontenten, Workflows, Templates, alte und neue Webtechniken, Schnittstellen zu Datenhaltungssystemen.
Und, vor allen anderen Dingen: Die Redakteure und Autoren.

Die Autoren brauchen Werkzeuge mit einer flachen Lernkurve um ihre Inhalte zu erstellen.
Diese Werkzeuge müssen einerseits dem Autor alles in die Hand geben, was er oder sie braucht um Texte und Grafiken zu gestalten.
Und zwar in einer modernen, zeitgemäßen Bedienoberfläche.

Andererseits müssen diese Werkzeuge den Inhalte „übersetzen“ in eine Form, die gemäß HTML-Standard valide ist und die auch Inhalte gemäß WAI umsetzt.
Dies auf eine intelligente Art und Weise, die auch die Bequemlichkeit der Autoren erkennt und umschifft (klassische Beispiel: Der über Copy&Paste kopierte Platzhaltertext „Bildbeschreibung“ bei Bildern).

Dies alles ist etwas, was sich ständig ändert. Neue Autoren kommen hinzu und haben neue Ideen. Sie workarounden Limitationen des CMS um fetten, farbigen Text zu bewerkstelligen; Plugins ändern ihre Ausgaben, liefern plötzlich Inline-CSS oder ein anderes Markup.
Das CMS selbst kann Updates erfahren, die zu einer problematischen Änderung von HTML-Ausgaben kommt; Oder überhaupt den Bedarf nach sich ziehen, das Template der Website anzupassen.
Und natürlich gibt es während der gesamten Lebenszeit einer Website ein Bedarf nach neuen Funktionen. Neuen Features. Sowohl sinnvollen, wie auch unsinnigen, die jemand auf einer anderen Website gesehen hat und cool findet. („Wo ist der Bedarf an einem Chatbot?“ „Keine Ahnung, aber das haben doch jetzt alle so.“)

Kurzum: Die Barrierefreiheit einer Website ist nichts was irgendwo nebenher geschehen kann.
Es ist integraler Teil eines andauernden Entwicklungs- und Nutzungskonzepts einer modernen Website.

Wer versucht Barrierefreiheit als Produkt hinzustellen, welches nur einmal eingekauft werden muss, unterschätzt entweder die allumfassende Komplexität der Aufgabe – und zeigt so, dass es hier Wissenslücken gibt; Oder aber hat nur seinen Profit im Sinn und nicht das seines Kunden oder dessen Nutzer.