Perfekt ist nicht immer gut

Sowohl aus der eigenen täglichen Beratungspraxis im Öffentlichen Dienst, als auch bei vielen Webprojekten (z.B. aktuell in der Diskussion deswegen: Webkrauts (Diskussion: yatil: Weshalb die Webkrauts scheitern. und Weshalb die Webkrauts nicht scheitern werden.) sehe ich immer wieder ein konzeptionelles und soziales Problem: Bevor eine Seite, ein Artikel oder ein Text veröffentlicht werden kann, soll dieses perfekt und fehlerfrei sein.

Im gravierenden Fällen ist dann auch eine Redaktion beteiligt, die ganz selbstbewusst auch darauf beharrt, daß auch wirklich ein jeder Text vor der Veröffentlichung von dieser abgesegnet (und dann auch technisch markiert) werden muss.

Doch funktioniert das ganze wirklich?
Und wenn ja, wo? Und wo funktioniert das ganze nicht?

Die Theorie

Zunächst einmal: Theoretisch sieht das ganze natürlich gut aus.
Jeder, der sich mit Content-Management beschäftigt, weiss was sich hinter den Begriffen der Redaktionellen Kontrolle und des Content-Lifecycle verbirgt.
In der Theorie schreibt ein Autor zunächst einen Text. Dieser geht dann an einen Redakteur, der den Text prüft und ggf. an den Autoren zurückweist für Verbesserungen oder für Rückfragen.
Wenn der Redakteur den Text gutheißt, wird der Text dann entweder publiziert oder einer nachgelagerten Redaktion zugeführt, die den Text nochmal allgemeinverständlicher formuliert.
Klassisch ist die Publizierung eines Textes ist für eine gewisse Zeit lang sicher gestellt, danach wird der Artikel archiviert.

Darüber, daß ein Artikel, der im Web steht, nach einer gewissen Zeit archiviert wird und somit nicht mehr über die bisherige URL zugreifbar ist, kann und sollte man aber noch diskutieren. Aber das ist ein anderes Thema!

Wie aus der Prozessbeschreibung deutlich wird, sind hier mindestens 2 Personen beteiligt, die miteinander interagieren müssen. Wenn der gesamte Prozess ordnungsgemäß ablaufen soll, ist zudem eine gewisse Sorgfalt, Engagement und ein Zeitaufwand unerlässlich.

Hiermit haben wir die beiden Hauptprobleme gefunden, warum die redaktionelle Kontrolle oft ein zu einem Nachteil werden kann: Zeit und Motivation.
Solange ein Artikel im Prozess der Redigierung verharrt, ist er nicht lesbar. Und solange Artikel nicht vorhanden sind, gibt es kein Grund für Leser zu warten – es gibt immer Alternativen.
Und wenn ein Text zu spät kommt, kann dies natürlich auch entsprechende Folgen haben: Der Text wird nicht weiterverbreitet (die Veranstaltung, die angekündigt wird, ist längst vorbei oder aber es lohnt sich nicht mehr darüber zu berichten) oder es interessiert schlichtweg niemand mehr.
Im schlimmsten Fall kann es sogar negative Folgen haben, da Leser und Kunden etwaige Fristen nicht einhalten konnten. Blamabel ist es natürlich auch wenn eine Ankündigung über die Änderung von Geschäftsprozessen, die sich an Kunden richten, erst kommt, nachdem die Änderungen schon längst aktiviert worden.

Was zudem nicht zu vergessen ist, ist die Motivation des Autors.
Obiger Prozess läuft nur dann, wenn sich alle dran halten. Wenn der Autor aber mit einem Redakteur oder einer nachgelagerten Textredaktion zu tun hat, mit denen es zu Konflikten oder zu unterschiedlichen Ansprüchen (z.B. will ein Autor seinen Text für eine hochspezialisierte Zielgruppe schreiben, die Redaktion jedoch nur Texte auf -aus Sicht des Autors:- Kiddy-Niveau durchgehen lassen) kommt, kann eben geschriebene Artikel auch oft der letzte gewesen sein.
Und Autoren – gerade solche, die fitt in der Materie sind und auch ein Interesse an der Publikation haben- finden und nutzen Alternativen.

Unter welchen Bedingungen funktioniert redaktionelle Kontrolle also dauerhaft?

  • Grundvorraussetzung: Zeit und Personal muss verfügbar sein
  • Schnittstellen zum Austausch von Texten müssen vorhanden sein und richtig genutzt werden.
  • Die Redaktion oder der Redakteur müssen schnell und effizient arbeiten; Auch Rückfragen an den Autor dürfen nicht zu einer größeren Verzögerung führen.
  • Die Zielgruppen des Textes müssen vorher geklärt sein. Ein Autor muss auch die Möglichkeit bekommen, für seine bevorzugte Zielgruppe schreiben zu können.
  • Wenn eine redaktionelle Nachbereitung des Textes erfolgt, muss der Autor diesen „Feinschliff“ ebenfalls absegnen, bevor es publiziert wird.

Wann funktioniert das ganze nicht?

Wenn obige Punkte nicht erfüllt werden können, kommt es zu Problemen und Konflikten. Diese werden nicht ohne Folgen bleiben für das Engagement von Autoren und somit auch auf die Qualität und Quantität der Artikel. Mit Dienst nach Vorschrift wird eben nur das notwendigste produziert. Aber lange nicht das Beste.
Deswegen müssen in solchen Fällen andere Konzepte her.
Nur weil ein Dienstleister oder ein einzelkämpferischer Redakteur voller Engagement für die einzig wahre Lehre eintritt, wird die Situation nicht verbessert. Insbesondere solange sich die redaktionelle Kontrolle als zeitlicher Flaschenhals auswirkt, funktioniert sie nicht richtig.

Was sollte man tun?

Zunächst einmal sollte man eines bei all dem theoretischen Erwägung nicht ausser acht lassen: Das wichtigste bei allen Texten ist nicht die Perfektion oder der Hochglanz der Prospekte und Texte.
Auch ein einheitliches Erscheinungsbild im Sinne eines Corporate Design ist zweitrangig. Denn:

Das wichtigste ist der Inhalt!

Der Text muss inhaltlich richtig sein, er muss zeitnah erfolgen, wenn er sich auf ein Ereignis oder auf ein Trend oder ein aktuelles Thema bezieht und der Text muss für die Zielgruppe interessant sein.

Nicht verboten an Texten ist, daß diese nachträglich korrigiert werden. Im Gegenteil zeigt dies doch, daß man sich kümmert und nicht irgendwelche ollen Kamellen mit Fehlern liegen läßt.
Der Erfolg von kooperativen Systemen, wie Wikis und Corporate Blogs zeigt es eindeutig: Die meisten Texte sind in stetiger Entwicklung. Es gibt keinen Endstatus, an dem ein Text perfekt ist und nie mehr geändert werden muss.
Statt wie in den klassischen Medien einfach eine neue Ausgabe herausgeben zu können, werden im Web jedoch die vorhandenen Texte verbessert und erweitert. Dies nicht nur von einer Person allein, sondern auch von mehreren.
Dies muss man auch bei der Erstellung von Texten im Web beachten.

Somit gilt ein Appell und ein Motto überall dort, wo das traditionelle Schema der redaktionellen Kontrolle nicht funktioniert: Mut haben und es tun!

Es ist nicht schlimm für einen Leser oder Kunden, wenn mal einer oder mehr Tippfehler auftauchen.
Viel schlimmer dagegen ist es, wenn wichtige oder dringende Informationen nicht rechtzeitig kommen oder falsch sind (weil z.B. noch eine vorherige Version nicht durch einen neuen Inhalt ersetzt wurde).
Sicherlich gibt es immer Leute, die sich wegen Tippfehler melden und nur aufgrund dieser den ganzen Text als schlecht erachten. Unter Umständen sind solche Leute an wichtigen Positionen, weswegen man sich leicht genötigt tut, die Rückmeldung überzubewerten. Dennoch gilt: Was ist wichtiger? Inhalte oder Form (und Tippfehler gehören zur Form)?
Die Antwort ist und bleibt der Inhalt.

Form follows function.

1 Kommentar zu “Perfekt ist nicht immer gut

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