Barrierefreiheitserklärungen von Märchenonkeln und Märchenprinzessinnen und Positivbeispiele

Es gibt einige Websites, die ein Siegel zur Barrierefreiheit aufweisen. Und seit einigen Jahren gibt es für alle Webangebote aus dem Öffentlichen Dienst (und zwar für allen Webangebote aller staatlichen und kommunalen Stellen aus ganz Europa!) sogar die Pflicht, eine Barrierefreiheitserklärung vorzuweisen.

Mit einem Siegel und einer Barrierefreiheitserklärung soll aufgezeigt werden, wie es um den Stand der Barrierefreiheit des Angebots bestellt ist.
Ein Siegel wird meistens werbend genutzt um zu zeigen, dass man gut. Bei der Barrierefreiheitserklärung sieht das allerdings etwas anderes aus: Bei dieser handelt es sich, sofern sie korrekt gemacht wurde, um eine Art Offenbarungseid. In der Erklärung soll nicht etwa angegeben werden, wie toll man ist, sondern man muss alle vorhandenen Barrieren auflisten, jeweils begründen und auch jeweils eine alternativen Zugang zu den unzugänglichen Informationen anbieten.

Genaueres siehe zum Beispiel:

Soweit die Theorie.

Positiv muss man sagen, dass eine zunehmende Zahl an Webauftritten im öffentlichen Bereich bereits dazu übergegangen sind, die Barrierefreiheitserklärung bereitzustellen und darin weitgehend ehrlich zu sein – statt sie als eigene Lobhubelei zu nutzen und die vorhandenen Barriereren zu verschweigen.
Ein Grund mag auch sein, dass die Barrierefreiheit als EU Norm als Standard zum Stand der Technik gilt. Mängel in der Umsetzung können daher leicht nicht nur als Sachmangel geltend gemacht werden, sie können auch bei größeren Ausschreibungen dazu führen, dass unterlegende Agenturen später gegen die beauftragtende Einrichtung klagen.

Leider gibt es jedoch noch viele andere Unternehmen und Website-Betreiber, die das Thema auf die leichte Schulter nehmen (wollen).

Was sollte der Zweck für ein Siegel zur Barrierefreiheit sein?

Man möchte mit dem Siegel zeigen, dass man das Thema Barrierefreiheit ernst nimmt und es umsetzt.

Doch wozu wird es häufig tatsächlich verwenden?
Mit dem Siegel -insbesondere dann, wenn es von einem größeren deutschen Konzern erstellt wurde- möchte man sich selbst gegen Klagen schützen. Es ist ein Mittel um (berechtigte) Beschwerden Betroffener gleich von Anfang an den Boden zu entziehen. Denn wenn ein Betroffener in diesem Fall klagt, müsste er oder sie belegen, dass das Siegel falsch ausgestellt wurde oder das was da tatsächlich signiert wurde, garnicht für die Barrierefreiheit der Website relevant ist.

Was sollte der Zweck der Barriererefreiheitserklärung sein?

Mit der Barrierefreiheitserklärung wird offenbart, wo die Mängel des Webangebots liegen und es werden im besten Fall Hilfestellungen gegeben, wie man dennoch an die Informationen gelangt. Durch die theoretisch jährlich vorzunehmenden Aktualisierungen der Erklärungen, sowie der Tatsache, dass niemand gern öffentlich machen möchte, dass die eigene Website Mängel hat, ist der Betreiber des Webauftritts einem gewissen Eigendruck ausgesetzt, sich darum zu kümmern.

Doch wie sieht die Realität aus?
Insbesondere dann, wenn der Betreiber zwar nicht umhin kann, eine Barrierefreiheitserklärung vorzuweisen, aber in Wirklichkeit kein echtes Interesse am Thema hat?
Antwort: Es wird gelogen, geflunkert oder man versteckt sich.

Beispiele von Märchenonkeln und Märchenprinzessinnen zur Barrierefreiheit

Hier ein paar exemplarirsche Beispiele, die ich einigen Webauftritten entnehmen konnte. Ich hab dabei die Herkunft bewusst anonymisiert, da es nicht darum geht, hier jemand spezielles zu Dablecken. Auch wenn es eigentlich keinen Grund gäbe, die Websites und deren Betreiber zu schützen. Es geht um die Sache und darum, hiermit zu zeigen, wie es nicht sein sollte.
Wenn Sie selbst so eine Erklärung haben, nehmen Sie es nicht als Angriff, sondern versuchen Sie sich in die Situation der Betroffenen hereinzuversetzen und nehmen dies zum Anlass, das ganze zu überdenken.

Alle folgenden Erklärungen sind aktuell erreichbar und zeigen den Stand der jeweiligen Erklärungen von heute, den 5. Januar 2023.

Beispiel 1

Screenshot einer Barrierefreiheitserklärung eines Landesamtes. Der Screenshot zeigt einen Textausschnitt in der man das Datum der Erklärung sieht, ein paar Worte zur Umsetzung und eine Liste von Mängeln. Eine Begründung für die Mängel fehlt, ebenso fehlt es an Angaben zu alterativen Zugangswegen. Es handelt sich um eine Selbstbewertung.

Diese Erklärung scheibt unter dem Titel Stand der Vereinbarkeit mit den Anforderungen folgenden Satz:

Die Angebote sind derzeit voll umfänglich barrierefrei zugänglich.

Aber keine zwei Sätze weiter folgt dann ein Absatz mit dem Titel Bekannte Probleme bei der Barrierefreiheit in dem dann mehrere einzelne Mängel aufgeführt werden.
Bemerkenswert dabei ist auch die Form der zeitlichen Einschätzung: „werden derzeit noch nicht“ oder „An der Umstellung auf Responsive Webdesign wird gearbeitet“.

Das klingt ja dann erstmal noch gut. Es wird sich also was tun.
Oder etwa nicht?
Der nächste Absatz gibt das Datum der Erklärung an: Diese Erklärung wurde am 28.11.2019 erstellt.

Frage an die Leser: Wer hält es für glaubhaft, dass hier tatsächlich aktiv an einer Verbesserung gearbeitet wird, wenn seit nun mehr als 3 Jahren nichts verbessert wurde?

Beispiel 2

Screenshot einer sehr überschaubaren Barrierefreiheitserklärung. Diese Erklärung gibt ohne weitere Begründung an, dass die Barrierefreiheit nicht erfüllt wurde.
Diese Erklärung ist, um es mal so zu sagen, ein Hauch von Nichts.

Sie enthält die rechtlich verbindlichen Angaben, aber sonst auch nichts:

Stand der Vereinbarkeit mit den Anforderungen: Diese Anwendung entspricht nicht § 1 BayEGovV.
Nicht barrierefreie Inhalte: Die Anwendung ist noch nicht barrierefrei ausgestaltet worden.
Konformitätserklärung: Liegt nicht vor.
Erstellung dieser Erklärung zur Barrierefreiheit: Diese Erklärung wurde am 19. November 2018 selbst erstellt und zuletzt am 27. Januar 2021 überprüft.

Das ist dann die ganze Erklärung. Mehr ist da nicht!
Es fehlt an jeglicher Erklärung zu dem Grund für die Mängel und warum sie nicht beseitigt werden konnten. Es wird weder eine Prognose zur Behebung angegeben, noch ein alternativer Zugangsweg. Die angegebene Kontaktmöglichkeit verweist an einen Intermediär, nämlich an eine Stabsstelle. (Und dies auch noch ohne Angaben zur Kontaktaufnahme: Keine Adressdaten, Mailadressen oder Telefonnummer).
Aber die eigentlichen Anbieter der Website sind weder genannt noch gibt es dazu eine direkte Kontaktmöglichkeit.

Zu dieser Erklärung muss ergänzend gesagt werden, dass sie sich nicht auf der Website des Angebotes selbst befindet. Stattdessen gibt es dort zwar einen Link auf die Barrierefreiheitserklärung, doch diese findet man dann auf einer anderen Website einer Stabsstelle in der alle möglichen Erklärungen vieler Websites gesammelt werden. Ruft man diese Seite dann auf, muss man in einem Accordion mit vielen IT-Diensten dann zunächst das ursprüngliche Webangebot wiederfinden…
Es ist eigentlich erstmal eine gute Idee, alle Erklärungen verschiedener Dienste auf einer zentralen Seite zu sammeln. Andererseits sollte in Frage gestellt werden, ob dies dem Betroffenen im aktuellen Fall tatsächlich hilft? Besser wäre es, hier mit einem Embed zu arbeiten, der denselben Text auf beiden Websites synchronisiert hält.

Beispiel 3

Der Screenshot zeigt eine Erklärung die auf den ersten Block gut strukturiert ist, ein Datum aus dem Jahr 2021 trägt, Mängel listet und eine Erklärung dafür angibt.
Diese Erklärung ist dann mal optisch etwas ansprechender gestaltet. Und somit stößt sie auch den Leser nicht gleich so sehr ab, wie bei den vorherigen Beispielen. Die nicht barrierefrei zugänglichen Inhalte werden aufgelistet und es gibt eine Begründung.

Also eigentlich kein Grund zum klagen, oder?

Doch schauen wir mal genau hin. Das Datum der Erstellung der Erklärung und der letzten Überprüfung ist der 11. November 2021. Okay, das ist vielleicht ein bißchen mehr als ein Jahr her, da sind die Leute vielleicht gerade dran am Update. Könnte man meinen.

Wenn in der Begründung zu den Barrieren nicht folgender Satz stände:

Der Webauftritt … wurde vor dem 23.09.2018 veröffentlicht und entspricht daher nur teilweise dem aktuellen Stand der Barrierefreiheit. Aufgrund des Umfangs des Webauftritts war eine umfangreiche, barrierefreie Gestaltung bisher nicht möglich und Fehler sind hier nicht gänzlich vermeidbar.

Die zeitlichen Aussagen sind somit nicht plausibel und somit auch nicht die implizite Inaussichtstellung („bisher nicht möglich“) einer Verbesserung nicht glaubhaft. Der Webauftritt wurde also bereits vor 2018 gemacht. Und das wird als Grund dafür genommen, dass man bereits mindestens 4 Jahre lang nichts korrigiert hat?
Zumal auch dies kein Grund ist: Die EU-Richtlinie 2102 zur Barrierefreiheit wurde zwar tatsächlich 2016 erlassen und wurde 2018 in den Ländern in die jeweils gültige Landesgesetzgebung eingearbeitet, aber das bedeutet doch nicht, dass man erst ab dann barrierefrei sein musste!

Die EU Richtlinie führte 2016 „lediglich“ die Pflicht zur Barrierefreiheitserklärung ein und legte die WCAG 2.1 als Teil der EU-Norm EN 301 549 V2.1.2 fest.
Zuvor gab es jedoch in den Mitgliedsstaaten der EU und in den Bundesländern Landesgesetze zur Barrierefreiheit. In Bayern beispielsweise gab es durch die BayBITV 1.0 aus dem Jahre 2006 bereits die gesetzliche Verpflichtung. In dieser gab es zwar Übergangsfristen, jedoch war die letzte Frist bis zu der alle alten Webauftritte korrigiert und nur noch barrierefreie Websiten neu veröffentlicht werden dürfen, bereits am 31. Dezember 2013 abgelaufen.
(vgl. auch: Tabelle Entwicklung und Ablauf der Umsetzungsfristen in Bayern seit 2005 im Kapitel Recht aus dem Leitfaden Barrierefreiheit).

Und somit zerbricht der positive Eindruck der Erklärung in Scherben: Man kann hier schlicht konstatieren, dass die Betreiber der Website seit Jahren nichts getan haben. Das an einer Behebung der Mängel gearbeitet wird, ist nach 4 Jahren unglaubwürdig.

 

Beispiel 4

Screenshot einer Barrierefreiheitserklärung. HIer wird von einer Selbstbewertung aus dem Jahr 2019 geschrieben, allerdings wird auf nicht vorhandene un dnicht mehr gültige Standards verwiesen.
Dieses Beispiel einer Barrierefreiheitserklärung scheint auch auf den ersten Blick in Ordnung (abgesehen natürlich vom Ergebnis) zu sein. Man gibt hier zu, dass die die Website nicht konform ist. Zwar liegt auch hier nur eine Selbstbewertung vor, jedoch fand die letzte Überprüfung ja erst im Mai 2022 statt. Von daher sollte man doch wegen der noch vorhandenen Mängel noch eine gewisse Gnadenzeit einräumen können.

Allerdings sollte dieser Satz stutzig machen:

In den geprüften Anwendungsbereichen wurden keine Kriterien der Priorität I und II der BITV 2.0 verletzt (entspricht Level AA der Web Content Accessibility Guidelines 2.0)

Die BITV 1.0 und der darauf aufbauenden BITV-Test enthielt in der Tat noch die Prioritäten.
Mit der im Jahr 2016 veröffentlichten EU Richtlinie 2102 wurde aber genau dies beseitigt! Ein Ziel und ein Grund der EU Richtline war es gerade auch, die unterschiedlichen Testverfahren und Kriterien in Europa zu beseitigen und eine EU Norm einzuführen. Dies ist dann auch mit der WCAG gemacht wurden. 2018 wurde die WCAG in der Version 2.1 veröffentlicht.

Wenn hier also von Prioritäten I und II geschrieben wird, mit denen man angeblich bei der ersten Bewertung im Jahr 2019 prüfte, ist das völliger Blödsinn. Wahrscheinlich hat hier ein Autor einfach blindlings die Version der BITV von 1.0 auf 2.0 erhöht. Das weiterhin hier mit dem angegebenen Erstellungsdatum 2019 und dem angegebenen Überprüfungsdatum im Mai 2022) die WCAG mit der Version 2.0 angegeben wurde statt der Versionsnnummer 2.1 unterstreicht nochmals die Vermutung, dass die Verfasser dieser Erklärung sich überhaupt nicht mit dem Thema auseinander gesetzt haben.
Und wenn schon hier solch offensichtlichen Wissensmängel vorhanden sind, dann kann man auch das Ergebnis dieser Selbstbewertung im Ganzen in Zweifel ziehen.

Vorbilder

Das es auch anders geht, zeigen einige Websites, die ebenfalls inhaltlich nichts mit dem Thema der Barrierefreiheit zu tun haben, aber sich dennoch darum kümmern.
Bei den Positivbeispielen gebe ich die Herkunft an. Denn Gutes sollte auch mit einer Referenz beworben werden.

Positivbeispiel Arbeitsagentur

Screenshot der Barrierefreiheitserklärung der Arbeitsagentur. Siehe Link dahin.

Die Erklärung der Arbeitsagentur wurde zuletzt am 1 April 2022 aktualisiert. Sie ist somit schon recht aktuell.
Hervorzuheben ist aber folgendes:

Die Überprüfung der Einhaltung der Anforderungen beruht auf unabhängigen BITV 2.0-Tests, die im Rahmen der Weiterentwicklung an jeweiligen Teilbereichen des Internetauftritts kontinuierlich durchgeführt werden.

Und genau dies, der unabhängige von Experten durchgeführte Test, ist eine Grundlage für eine wirkliche Verbesserung.
Bei einer Selbstbewertung durch einen Website-Betreiber selbst besteht zum einen das Problem, dass das notwendige Know-How dazu im eigenen Haus vorhanden sein müsste. Zum anderen ist aufgrund der bekanntlich im Öffentlichen Dienst eher mangelhaft zugewiesenen IT-Ressourcen davon auszugehen, dass ein Selbsttest meistens in Personalunion von den Projektleitern gemacht wird. Die auch andere Aufgaben haben und durch ihre langjährige Beschäftigung mit der Website, sich an diese gewöhnt haben und auch über Wissen über die Nutzung verfügen, welche normale Nutzer nicht haben.

Positivbeispiel Datenschutz Hessen

Screenshot der Barrierefreiheitserkläung der hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit

Die Barrierefreiheitserklärung der Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist ein Vorbild in Sachen Transparenz und Aktualität. Die Erklärung ist am 9. Dezember 2022 erstellt worden und ist somit die aktuellste Erklärung in der gesamten Auflistung dieses Artikels.

Nicht allein, dass hier alle gefundenen Mängel konkret aufgelistet werden, wird auch jeweils angegeben, bis wann die „barrierefrei Anpassung“ vorgesehen ist:

Maßnahmen: Bis 30.12.2023 ist die barrierefreie Anpassung vorgesehen.

Man kann zwar einwenden, dass das Datum etwas weit in der Ferne ist, aber ich denke, das wird man verschmerzen können.

Weitere Positivbeispiele

Die zentrale Website der Bundesverwaltung listet auf ihrer Barrierefreiheitserklärung ebenfalls transparent und konkret die Mängel auf.

Auch die Erklärung der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist ein Vorbild: Hier werden auf einer nue gestalteten Website, deren Tests auf barrierefreiheit noch nicht allzu lang her ist, nicht nur die einzelnen Probleme aufgelistet, es werden auch hier konkrete Termine und Maßnahmen erklärt, zu denen man wie die Mängel behoben haben möchte.